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360 Tage Frieda

  • Autorenbild: Peter
    Peter
  • 5. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Okt.

Es sind jetzt gut 360 Tage, seit wir mit unserer Frieda losgezogen sind. Frieda, unser rollendes Zuhause, unser Reisekraftwagen, unser Rückzugsort und Fortbewegungsmittel aus Blech und Diesel. Ein Jahr, das so schnell und so langsam zugleich vergangen ist.


Der Abschied aus der Komfortzone kam in einem Tempo, als hätte jemand den Zeitraffer eingeschaltet. Mit der gewünschten Frühpensionierung kam der letzte Arbeitstag. „Früh“ klingt charmant, beinahe nach Luxus, in Wahrheit aber stand man plötzlich da ohne fixen Wohnsitz und ohne Routine.


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Während der Alltag draussen unbeirrt weitermarschierte, packten wir unser Leben in Kisten. Eine 4-Zimmer-Wohnung im Auflösezustand, Kartons türmen sich wie Hochhäuser. Zurück blieb nur das Echo von Möbelrücken, Staubsaugerbrummen und die Frage: „Brauchen wir das noch – oder nicht?“ Die Checkliste schien sich mit jedem abgehakten Punkt zu verlängern. Visa, Erledigungen, Packliste – alles gleichzeitig. Und irgendwo zwischen Panikattacke und buddhistischer Tiefenentspannung standen wir dann plötzlich da: gewillt und entschlossen, das alte Leben zu verlassen.

 


Die letzten Tage waren ein emotionales Wechselspiel aus Wehmut und Vorfreude. Abschied von der gewohnten Routine, Arbeitskollegen, Freunden, Nachbarn, Familie – alles, was man kennt und liebt, bleibt zurück. Der letzte Griff an die vertraute Haustürklinke und schon rollten wir los. Der Traum der Freiheit, den man jahrelang wie einen Luftballon über sich hergetragen hat, verwandelte sich in Realität. Und dann: 360 Tage unterwegs. 360 Tage Frieda.

 

 

Ankommen im Reisen


Man könnte meinen, man setzt sich in ein Auto, dreht den Schlüssel und zack: man ist Reisender.


Denkste.


Wir haben fast ein Jahr gebraucht, um wirklich im Reisen anzukommen. Es klingt verrückt, aber das Nomadenleben mussten wir erst lernen. Die Monate in Marokko waren unser Bootcamp. Wir lernten Frieda kennen – ihre Macken, ihre Eigenarten und das Leben in ihr. Aber auch das Leben auf engem Raum, 24 x 7, permanent zusammen, ohne Rückzugsort. Wir waren uns sicher, dass dies für uns keine grössere Probleme bereiten würde, aber auch hier gab es eine Lernkurve, welche noch immer andauert.

 

Uns waren Dinge wie Luftdruck, fahren im Gelände oder Reifenwechsel von unseren Afrika-Touren geläufig – aber mit einem LKW war alles neu. Frieda ist ja nicht einfach nur ein Camper, sondern eine eigenwillige 10-Tonnen Dame, die gepflegt, gewartet und manchmal verflucht werden will. Marokko war da für uns gnadenlos ehrlich: Sand, Steine, Hitze – alles war dabei. Marokko war aber auch grosszügig: unendliche Weite wie wir sie lieben, Farben wie frisch aus einem Fiebertraum, Menschen, die Gastfreundschaft nicht als Pflicht, sondern als Kultur verstehen.

 


Die ersten Reise-Wochen waren schwierig. Zu hektisch gestartet, zu sehr noch im alten Takt. Doch irgendwann zwischen den Dünen und der Stille der Wüste fiel ein Schalter um. Wir fanden einen Rhythmus. Es war, als würde man der Frequenz des eigenen Herzschlags folgen.

 

 

180 Tage Zentralasien


Nach Marokko das Schwierige zuerst und das grosse Ding: Zentralasien. Wir starteten am 6. April 2025. Pamir, Kirgistan, Mongolei – schon beim Aussprechen riecht man Staub, Ferne und Abenteuer, jeder Name ein legendäres Ziel für Fernreisende.

 

Unser Plan? Diese legendären Orte in einer Saison erreichen, erleben – und dann schauen, wie wir im Herbst in der Mongolei dem Winter entkommen. Irgendwohin, das Ziel war offen. Zurück nach Europa? Wäre theoretisch möglich gewesen. Praktisch aber nur, wenn man Autofahren als olympische Disziplin betreibt. Stunden, Tage, Wochen auf Wegen, die zwar auf der Karte als Strassen eingezeichnet sind, in Wirklichkeit sich aber eher wie zerfledderte Narben durch die Landschaft ziehen. Asphalt, der sich in der Sonne auflöst wie alte Butter. Pisten, auf denen man für 100 Kilometer acht Stunden lang schaukelt. Wer denkt, es fahre sich wie in Europa, darf seinen Traum gleich noch mal einpacken.

 


Wir allerdings hatten nie vor, nach der Mongolei sofort wieder den Rückwärtsgang einzulegen. Im Gegensatz zu vielen anderen wollten wir weiter – nur wussten wir beim Start der Tour noch nicht, wohin genau uns die Reise danach tragen würde.

 

Die Reisezeit ist auch ein Puzzle. Der Pamir wird ab Juni schneefrei. Die Mongolei bereist sich ideal im Juni und Juli. Das Zielgebiet lässt sich grundsätzlich von Mai bis September gut besuchen. Klingt machbar. Aber die Distanzen sind der wahre Gegner. Wer in Europa fünf Länder in drei Tagen durchquert, vergisst, dass hier ein einziger Pass dich eine Woche kosten kann. Und so trafen wir unterwegs viele Gleichgesinnte. In Griechenland, in der Türkei, in Georgien – viele hatte den gleichen Traum: Mongolei. Doch fast alle kehrten nach dem Pamir wieder um. Zu weit, zu anstrengend, zu viel Fahrerei.

 

Wir selbst waren zu Beginn viel zu schnell unterwegs. Geschuldet der Reisezeit im Zielgebiet. Italien: 3 Tage. Griechenland: 10 Tage. Türkei: 16 Tage. Ein Rhythmus, der eher nach Paketdienst klingt und jeder Landschaft Unrecht tut. In diesen Ländern steckt genug Stoff für sechs Monate Entschleunigung. Und Georgien? Ein Juwel, das wir im gleichen Zeitrahmen wie die Türkei bereisten. Ein Land, in dem man sich viermal so lange verlieren könnte. Russland im Anschluss im Transit. Vier Tage. Hunderte Kilometer, die wie im Schnellzug an uns vorbeizogen. Ein GPS, das in Vladikavkaz und Astrachan plötzlich streikte – elektronischer Spuk oder staatliche Störsignale, wer weiss das schon.

 

Und dann die Grenze Kasachstan–Usbekistan: geschlossen. Alle Reisenden waren gezwungen, den Umweg durch Kasachstan zu nehmen, bis runter nach Taschkent. Kilometer fressen, endlose Landschaften, die einem gleichzeitig das Herz öffnen und die Geduld auf eine Probe stellen. Mangystau mussten wir deswegen auslassen. Ein Ort, den wir uns erträumt hatten. Eine Landschaft wie von einem fremden Planeten, abgesagt wegen einer Grenzlinie. Manchmal entscheidet nicht der Reisende, sondern die Landkarte, die lokalen Gegebenheiten oder die politische Situation.


 

Nach 360 Tagen


Und heute? Heute fühlen wir uns als Reisende. Keine Touristen oder als Menschen auf der Durchreise. Wir haben das alte Tempo hinter uns gelassen. Wir wissen jetzt, dass man eine Woche für eine Stadt, einen Monat für ein Land und ein Jahr für eine Idee braucht.


Nach 360 Tagen wissen wir: Wir sind angekommen – nicht an einem Ort, sondern im Unterwegssein. Und das ist vielleicht der grösste Luxus überhaupt.


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